Das Beste rausholen

PETER H. EISENHUTH / sportausmainz.de • Juli 22, 2018

Für USC-Speerwerfer Julian Weber ist es nach langer Leidenszeit schon ein Erfolg, bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg antreten zu können. Noch ein EM-Ticket zu ergattern, ist nicht ausgeschlossen – aber eigentlich hofft der Mainzer nicht darauf.

Mainz/Nürnberg. Am Freitag ist Julian Weber nach Nürnberg gefahren. Wohlwissend, dass er dort eine Menge Zeit haben wird, bis er an der Reihe ist. Der Speerwurf der Männer nämlich ist die letzte technische Disziplin, die bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften aufgerufen wird – erst am späten Sonntagnachmittag geht es los, um 17.20 Uhr. Immerhin passt das dann genau in die Live-Übertragung des ZDF.

Die Wartezeit wird dem Sportler des USC Mainz nichts ausmachen. Erstens, weil er am Samstag beim Speerwurf der Frauen seine Trainingsgruppenpartnerin Desiree Schwarz unterstützen will. Und zweitens, weil diese knapp zwei Tage bis zum eigenen Auftritt ein Klacks sind gegenüber den mehr als 15 Monaten, die er sich nach seiner schweren Ellbogenverletzung im April vorigen Jahres und einem Bandscheibenvorfall in diesem Frühjahr bis zum Comeback gedulden musste.

Das fiel beim Weltcup in London angesichts der Umstände sehr gut aus. Weber, den der Deutsche Leichtathletik-Verband nominierte, weil die anderen infrage kommenden Topwerfer entweder angeschlagen verzichtet hatten oder sich in Ruhe auf die DM vorbereiten wollten, gewann den Wettkampf. Er war neben der Diskuswerferin Claudine Vita der einzige deutsche Sieger, „und acht Punkte fürs Team geholt zu haben, war ein gutes Gefühl“.

„Hört sich doof an, ist auch doof“

Gleichwohl ist dem Mainzer bewusst, dass er mit der Weite von 82,80 Metern zwar die Norm für die Europameisterschaften vom 7. bis 12. August in Berlin erfüllt hat, dass er aber damit keine Chance auf einen der drei deutschen Startplätze besitzt. An die Jahresbestleistungen von Johannes Vetter, Andreas Hofmann und Thomas Röhler, allesamt über 90 Meter, wird er nicht herankommen. „Es hört sich doof an, und es ist auch doof, aber eine EM-Teilnahme ist für mich nur möglich, wenn einer der anderen verletzt ausfällt“, sagt er. Das könnte bei Vetter der Fall sein. „Aber auf so etwas hoffe ich nicht, und das wünsche ich keinem“, betont Weber. „Wir verstehen uns untereinander alle gut, und die anderen haben mir auch gut zugeredet, als ich verletzt war.“

Ganz gleich, wer am Sonntag tatsächlich antreten wird: Julian Weber könnte das Ganze eigentlich locker angehen. Wenn der schlaue Spruch, jemand habe nichts zu verlieren, Gültigkeit besitzt, dann in seiner Situation. „Selbstverständlich will ich immer der Beste sein und, wenn das schon nicht möglich ist, das Beste aus meinem Körper herausholen“, sagt er. Diesmal ist es jedoch schon ein Fortschritt, überhaupt wieder auf einem solchen Level mitmischen zu können.

Mit dem nächsten Saisonaus gerechnet

Ein Jahr Pause hatten ihm die Ärzte nach seiner Sehnentransplantation am Ellbogen prognostiziert; die nacholympische Saison war für den Neuntplatzierten der Spiele von Rio de Janeiro damit gelaufen. „Nach der Operation dachte ich zunächst, das wird gar nichts mehr“, erzählt der Speerwerfer; der Arm befand sich damals in einem 90-Grad-Winkel und ließ sich nur millimeterweise beugen und strecken.

Nach vier, fünf Monaten allerdings war die Beweglichkeit wieder vorhanden, Weber, der die Reha bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr in Warendorf machte, konnte langsam wieder anfangen, mit Gewichten zu trainieren. „Und schon nach neun Monaten hatte ich mich megagut gefühlt und den Eindruck, dass ich in dieser Saison 90 Meter werfen kann.“

Tatsächlich hatte er sich auf dieses Niveau herangekämpft, als in der letzten Woche des Trainingslagers mit dem Bundeskader in Portugal der nächste Rückschlag kam. Nach einer Einheit mit Sprints, Sprungläufen, Kugelstoßen spürte er ein leichtes Ziehen im Rücken. Nicht ungewöhnlich, „aber als ich auf dem Weg zum Auto niesen musste, ist es mir durch den rechten Oberschenkel gezogen“. Der Rest des Auslandsaufenthaltes bestand aus Schmerzen und Physiotherapie, zurück in Deutschland, ergab die MRT-Untersuchung einen Bandscheibenvorfall. „Damit war für mich klar, dass auch diese Saison vorbei sein würde.“

Kleine Mutmacher

Weber verhehlt nicht seine Niedergeschlagenheit. „Frust, Ärger, Traurigkeit, alles war dabei“, sagt er. „Wie sehr mich das belastet hat, ist mir erst im Nachhinein klargeworden. Aber ich musste nach vorne schauen, und das habe ich getan, so gut es möglich war.“ Einzelne kleine Erfolgserlebnisse machten ihm Mut: das nachlassende Taubheitsgefühl im Bein, die zurückkehrende Fähigkeit, das Bein wieder anzuheben, der langsame Wiedereinstieg ins normale Training. „Das waren Dinge, an denen ich mich festgehalten habe.“

Extrem hilfreich seien die drei Reha-Wochen bei der Familie von Desiree Schwarz‘ Freund gewesen, die in Saarbrücken ein Gesundheitszentrum betreibt. „Massage, Krafttraining, Stabilisationsübungen, Akupunktur, Elektrotherapie – wir haben alles gemacht, was man bei einer konservativen Behandlung machen kann“, sagt Weber. „Von morgens bis abends.“

85 plus sollen es werden

Aufholen ließ sich der enorme Trainingsrückstand freilich in der Kürze der Zeit nicht. Krafttraining war möglich, „aber nur mit Frauengewichten. Deshalb habe ich mich jetzt auf Schnellkraftübungen beschränkt“. Sprints gingen bis vor drei Wochen überhaupt nicht, „aber zumindest im Wettkampf muss ich ja auch nicht sprinten“. Und das fehlende Techniktraining muss er mit seiner Routine auszugleichen versuchen. In London sei dies noch nicht ganz gelungen, sonst wären ein paar Meter mehr dringewesen. 85 plus könne er derzeit werfen, sagt sein Trainer Stephan Kallenberg, dessen Einschätzungen immer ziemlich gut sind.

Was das für Nürnberg bedeutet? „Keine Ahnung“, sagt Julian Weber. „Ich will auch gar nicht darüber nachdenken. Ich hoffe, dass ich die richtige Mischung aus Anspannung und Lockerheit finde und der Speer so weit fliegt wie es momentan möglich ist. Alles andere werden wir dann sehen.“

(mit freundlicher Genehmigung von Peter H. Eisenhuth)

von Thomas Weber 30 Aug., 2023
Anmerkung der Redaktion: Es ist schon erschreckend mit welcher Arroganz die deutschen Medien einen hervorragenden 4. Platz bei einer sehr hochklassigen Konkurrenz herabwürdigen und die Athleten diffamieren. BILD titelt gar "Die Deutschland-Schande" mit einem großen Foto von Julian. Zum Kotzen!
von DÖRING, CHRISTIAN 15 Aug., 2023
Filmbeitrag von Christian Döring (SWR)
von Thomas Weber 09 Juli, 2023
Schon mit dem ersten Versuch machte Julian Weber (USC Mainz) den Titel-Hattrick bei Deutschen Meisterschaften perfekt. Der Europameister schickte den 800 Gramm schweren Speer in den blauen Himmel über Kassel und auf eine weite Reise, die erst nach 85,59 Metern endete. Damit war dem 28-Jährigen der Sieg nicht mehr zu nehmen. Das reichte ihm aber nicht: Im dritten Versuch legte der Olympia-Vierte 88,72 Meter nach und streckte jubelnd die Arme in die Höhe. Nur in zwei Wettkämpfen seiner Karriere war der Mainzer überhaupt besser. In der Weltjahresbestenliste schob sich der Mainzer damit vorbei an Olympiasieger Neeraj Chopra (Indien; 88,67 m) auf Rang zwei. Weiter hat in diesem Sommer bisher nur der Tscheche Jakub Vadlejch (89,51 m) geworfen. „Ich bin mega-happy mit der Leistung. Die Stimmung war super, aber ich weiß, dass noch mehr drin ist. Das hebe ich mir auf. Die Medaille ist mein Ziel für die WM“, sagte Julian Weber nach seinem Gold-Hattrick. Genauso souverän wie der Titel an Julian Weber ging die Silbermedaille an Maurice Voigt (LG Ohra Energie). Der Thüringer steigerte seine Saisonbestleistung um knapp zweieinhalb Meter auf 77,43 Meter. Überraschend Bronze sicherte sich Casimir Matterne. Der Hannoveraner schnappte mit 71,68 Metern im vierten Versuch Thomas Röhler (LC Jena) die Medaille noch weg. Der Rio-Olympiasieger kam auf 71,44 Meter. Damit fehlten ihm knapp sieben Meter zur Saisonbestleistung. Video auf Leichtathletik.de : https://www.leichtathletik.de/tv/video-detail/video-detail/detail/22666-maenner-speerwurf-video
von Thomas Weber 05 Juli, 2023
Speerwerfer Julian Weber hat seine gute Form im WM-Jahr bestätigt. Der Europameister belegte beim Meeting der Diamond League in Lausanne mit 87,03 Metern Platz zwei hinter dem indischen Olympiasieger Neeraj Chopra, dessen Speer auf 87,66 Meter flog. Weber hat "die 90 Meter im Körper drin" Der 28-jährige Weber, der beim Wettkampf in der Schweiz lange geführt hatte, fühlt sich nach eigener Einschätzung "in einer Form wie noch nie". Er hofft in diesem Jahr, erstmals die 90 Meter zu werfen. Zuletzt hatte er bei der Team-EM im polnischen Chorzow bei seinem Start gewonnen (86,26 Meter). "Ich wollte heute unbedingt gewinnen. Deswegen ärgert es mich ein bisschen", sagte Weber bei Sky. "Ich hatte die 90 heute im Körper drin. Trotzdem bin ich mit dem zweiten Platz zufrieden." Die nächste wichtige Etappe auf dem Weg zu den Weltmeisterschaften vom 19. bis 27. August in Budapest sind die deutschen Meisterschaften am 8. und 9. Juli in Kassel. Dort will Weber seinen dritten deutschen Meistertitel gewinnen
von Thomas Weber 12 Juni, 2023
Mit den nächsten starken Würfen hat Julian Weber nach dem Triumph von Rehlingen den nächsten Sieg eingefahren: In Hengelo ließ er am Sonntag seinen Speer bis auf 87,14 Meter segeln. Der Speerwurf der Männer bot am Sonntag bei den FBK Games in Hengelo (Niederlande) gleich in mehrerer Hinsicht einiges an Brisanz: Europameister Julian Weber (USC Mainz) hatte zuvor in Rehlingen mit 88,37 Metern eine Kampfansage geliefert und angekündigt, dass die 90-Meter-Marke bald fällig sein soll. Die beiden 90-Meter-Werfer Johannes Vetter (LG Offenburg) und Andreas Hofmann (MTG Mannheim) dagegen standen für ihren ersten Start des WM-Sommers auf der Startliste. Schließlich war es erneut Julian Weber, der mit weiten Würfen glänzen konnte: Schon mit seinem zweiten Wurf auf 86,78 Meter setzte er sich an die Spitze des Feldes, in Runde sechs konnte er sich sogar noch einmal steigern und schließlich mit 87,14 Metern den Sieg beim Gold-Label-Meeting der World Athletics Continental Tour feiern. Er ließ damit unter anderen den Olympiasieger von 2012 und Olympia-Dritten von 2016 Keshorn Walcott (Trinidad und Tobago; 83,56 m) hinter sich. Leider verletzte sich Andreas Hofmann beim Einwerfen schwer am Knie und musste somit verzichten ebenso wie Olympiasieger Neeraj Chopra (Indien), der schon zu Beginn der Woche mit muskulären Beschwerden abgesagt hatte –, feuerte Johannes Vetter erstmals seit fast genau einem Jahr wieder die ersten Wettkampf-Würfe in den Abendhimmel. Damit ist der Anfang gemacht, dass das Comeback nach hartnäckigen Schulterbeschwerden jedoch kein Selbstläufer wird, dokumentieren die ersten vermessenen Weiten von 72,28 und 72,85 Metern. Quelle: Leichtathletik.de
von Thomas Weber 31 Mai, 2023
Julians 88m-Wurf kommt im Video bei 1:55:08
von Thomas Weber 31 Mai, 2023
von Thomas Weber 29 März, 2023
von Thomas Weber 25 Aug., 2022
Fotos: Imago (lizensiert)
Mehr anzeigen
Share by: